Interview mit einem Fleischfresser
Heinz Lerch, Projektleiter Natur und Landschaft
Schon lange wohnt es dort in der WG. Wegziehen sei eine schlechte Option. Wie es selber sagt, behage ihm das kalte und nasse Klima, obschon andere dies nicht nachvollziehen können. Es betont aber, dass noch weiteres wichtig ist für die Lebensqualität. Im Interview erklärt das Alpen-Fettblatt warum es den Wohnort an der Quelle bevorzugt, gerne dortbleiben möchte und mit wem es sich sein Zuhause teilt.
Heinz Lerch, Regionaler Naturpark Diemtigtal: Deine Füsse stecken immer im Kalten und Nassen. Wie viel Geld gibst du jährlich für Schnupfen-Medikamente aus?
Das Alpen-Fettblatt lacht: Keinen einzigen Franken. Erst wenn’s so richtig nass und konstant kühl ist, fühle ich mich besonders wohl. Und der grosse Vorteil ist, dass viele andere sich in diesem Klima nicht wohlfühlen. So ist genügend Platz für mich und meine Mitbewohner in unserer Wohngemeinschaft «Lebensraum Quelle».
Du hast WG-Partner?
Ja, ein paar andere lieben es auch so kühl und nass. Zum Beispiel der Bach-Steinbrech oder der Stern-Steinbrech und sehr viel Moos. Gegen das muss ich mich aber oft etwas resolut durchsetzen, so wie es halt manchmal in einer WG läuft. Mit meinen Rosettenblättern decke ich den Boden um mich herum dicht ab. So gibt’s kein Licht mehr und ich kann meinen Standort behalten.
Dein Lebensraum ist sehr nährstoffarm. Leidest du nicht Hunger?
Der ist in der Tat sehr nährstoffarm. Das hat den Vorteil, dass mich keine schnell und hochwachsenden Pflanzen verdrängen. Aber natürlich steht so auch für mich nur wenig Stickstoff zur Verfügung. Nun, ich habe einen Trick: ich bin nämlich eine fleischfressende Pflanze. Meine Blätter scheiden Tröpfchen einer klebrigen Flüssigkeit aus. Darauf bleiben kleine Insekten kleben, welche durch ein Enzym verdaut werden. So komme ich über die Blattoberfläche an zusätzliche Nährstoffe.
Die Klimaerwärmung hat die Welt fest im Griff. Hand aufs Herz: wie gehst du damit um?
Im Gegensatz zu meinen ganz spezialisierten Quell-Mitbewohnern bin ich ausnahmsweise auch gegenüber Trockenheit tolerant. In den höher gelegenen Gebieten lebe ich sogar auch an Orten ausserhalb vom Grundwassereinfluss. Aber trotzdem sorge ich mich wegen der Klimaerwärmung. Auch ich sterbe relativ schnell aus, wenn’s so weitergeht.
Die Quellen sind nur kleinräumige Lebensräume welche in zum Teil grösseren Abständen voneinander vorkommen. Wie schaffst du es trotzdem, dich zu verbreiten?
Meine staubfeinen Samen werden vom Wind verbreitet. Und dass meine Nachkommen auch ausserhalb vom Quelllebensraum an feuchten Stellen wie an Bachläufen wachsen können, ist natürlich ein Vorteil. Vielleicht ist es von da an nicht mehr weit bis zu einer Quelle, wo sich meine Grosskinder wieder so richtig wohl fühlen können. Auch hier haben fix an Quellen gebundene Arten einen Nachteil. Ist die Distanz zur nächsten Quelle zu weit, findet zwischen den Populationen kein Austausch mehr statt und die Arten verarmen genetisch.
Hast du auch Verwandte in der Region?
Ja, in der Region ist auch das Gemeine Fettblatt zu finden. Es sieht mir sehr ähnlich, hat aber violette Blüten. Zum Beispiel findet man es bei der Tuffquelle unterhalb des Spitzenfluhtunnels.
Bist du selten oder sogar auf der Roten Liste der gefährdeten Arten aufgelistet?
Ich bin nirgends wirklich häufig aber relativ weit verbreitet. So bin ich nicht gefährdet und auch nicht auf der Roten Liste. In manchen Kantonen bin ich aber trotzdem geschützt.
Herzlichen Dank für deine Zeit. Ich wünsche dir und den Quellen alles Gute.