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© Verena Lubini

«Dr Schatz i dr Quelle»

Der Schatz in der Sprudeltruhe

Heinz Lerch, Projektleiter Natur und Landschaft

Die im Mittelland haben es gut. Sie haben den Feuersalamander. Die Kinder des Feuersalamanders, also die Larven, entwickeln sich oft in ruhig fliessenden Quellgewässern der tieferen und wärmeren Regionen der Schweiz. Und die farbenfrohen «Erwachsenen» eignen sich durch ihre sympathische Gestalt hervorragend, um auf die wertvollen Quelllebensräume aufmerksam zu machen.

Bei uns im Diemtigtal wird es schwieriger, denn wenn man bei uns in einem Quelllebensraum Tiere sucht, findet man die Larven des farbenprächtigen Salamanders nicht. Dafür aber Nemoura sinuata! Und Drusus discolor, sowie Baetis alpinus. Kennst du nicht? Zugegeben, die wenigsten Leute kennen diese Tiere. Sie haben ja nicht mal einen deutschen Namen. Die aufgezählten Tierarten sind vordergründig auch keine Sympathieträger wie andere Tiere, welche im Naturschutz für den Erhalt ihres Lebensraumes Werbung machen.
Was für uns kauderwelsch tönt und auf den ersten Blick einfach ein kaum sichtbares, braunes Viech ist, lässt aber die Herzen von Quellenforschenden höherschlagen. Denn die kleinen Braunen sind mitnichten langweilig und grausig. Wenn wir genauer hinsehen, wird nämlich auch unsere Herzfrequenz etwas steigen.

Zuerst müssen wir dafür in der Systematik der Biologie eine oder zwei Stufen höher gehen. Dann finden wir heraus, dass Nemoura sinuata eine Steinfliegenart ist. Drusus discolor ist eine Köcherfliege und Baetis alpinus eine Eintagesfliege. Alle drei kommen im Diemtigtal vor und bevorzugen den Lebensraum Quelle. Und alle drei Tiergruppen sind hochinteressant. Gemeinsam haben sie die Eigenschaft, dass sie ihre einjährige Kindheit also das Ei- und Larvenstadium, im Wasser verbringen; viele gerne in sauberem, konstant kühlem Wasser. Je nach Art sind die Tiere mit gut ausgebildeten Klauen ausgestattet, mit welchen sie sich an Steinen gut festhalten können, damit sie von der Strömung nicht weggespült werden. Oder der Körperbau ist so konstruiert, dass die Wasserströmung das Tier fest auf den Untergrund drückt. Nicht viel vom Körper sieht man bei den Larven der Köcherfliegen. Wie ihr Name bereits verrät, bauen sie sich einen Köcher. Je nach Art und Möglichkeiten besteht der Köcher aus kleinen Steinchen, Holz- oder Laubstückchen oder anderem verfügbarem Material. Der Köcher dient zum einen der Tarnung, zum anderen ist er wie eine Ritterrüstung, welche den Körper zum Beispiel vor Fressfeinden schützt.

Der Speiseplan ist vielfältig. Manche filtern kleinste Teile von totem Pflanzenmaterial aus dem Wasser, andere Arten nagen oder schaben an Algen und Wasserpflanzen. Grössere Steinfliegenlarven leben räuberisch und jagen andere Kleintiere.

Nach einer letzten Häutung der Steinfliegen- und Eintagesfliegenlarven oder nach der Verpuppung der Köcherfliegenlarven, entrinnt das erwachsene Tier dem Wasser und lebt von nun als Landtier. Die Zeit drängt jetzt, denn wer sich Eintagesfliege nennt, muss das Wichtigste sofort erledigen: Die Fortpflanzung. Zum Fressen fehlt die Zeit; sowieso haben viele Arten der besprochenen drei Tiergruppen im Erwachsenenstadium gar keine Ausrüstung mehr zum Fressen. Sie leben von der Substanz und sterben nach der Paarung, also ein paar Tage, maximal ein paar Wochen nach der Entwicklung zum Landtier. Um keine Zeit zu verlieren machen die Steinfliegenmännchen durch Klopfzeichen auf sich aufmerksam. Paarungsbereite Weibchen reagieren darauf und legen nach der Paarung die Eier wieder im Gewässer ab. Die Nachkommenschaft dieser Insekten ist meist sehr zahlreich. Nicht alle überleben, denn ihre Stellung in der Nahrungskette ist ganz weit unten. Das heisst, dass sie als Sockel im Ökosystem umso wertvoller für alle anderen sind. Viele dieser Insekten entfernen sich nicht weit vom Geburtsgewässer, so dass eine Besiedlung von entfernten Quellen nicht möglich wird. Daher ist es wichtig, dass möglichst viele naturnahe Quellen eine gute Vernetzung gewähren und der genetische Austausch gesichert ist.

In der Schweiz sind 117 Steinfliegenarten, 319 Köcherfliegenarten und 87 Eintagesfliegenarten zu Hause. 40 bis 50% dieser Arten stehen auf der Roten Liste. Sie sind also mehr oder weniger stark gefährdet oder bereits ausgestorben und bedürfen dringend den Erhalt und die Verbesserung ihrer Lebensräume.

Wir im Diemtigtal haben es gut. Denn wir haben die kleinen Braunen in den Quellen. Puzzleteile des Ökosystems. Einen wertvollen Schatz in einer sprudelnden Truhe, die es für die grosse und seltene Vielfalt zu bewahren gilt.

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